Sendeschluss
Wenn am frühen Abend, nach der Heimkehr aus einem relativ belanglosen
Job, das Gehirn sich noch ausgeruht anfühlt, der Körper sich aber zur
Sicherheit schon recht nahe an
der Ladestation aufhält, dann setzt sich unser Protagonist meist vor die
Mattscheibe. Man kann es auch TV Gerät oder Fernseher nennen, Glotze
wäre ein wenig zu platt. Aber egal, all diese unterschiedlichen
Ausdrücke ändern auch nicht gerade viel an der Aussage dieses Wortes,
mit der wir uns aber nicht wirklich jetzt und hier auseinandersetzen
wollen. Warum auch. Es geht hier um etwas gänzlich Anderes. Also, wie
gesagt, nach einem durchschnittlich nicht auslastenden Arbeitstag sitzt
der Durchschnittsfernseher auf seiner Polsterbank und schaltet via
Fernbedienung sein Gerät ein, das sich ohnehin den ganzen Tag über im
Standbymodus befunden hat. Wie üblich zeigt das dabei entstehende Bild
entweder Serien, von lustig bis lieblich, allesamt natürlich eh
grottenschlechter Schwachsinn auf unterstem Niveau, oder
Pseudoinformationsgequatsche für Senioren oder geistig veraltete
Couchpotatoes, einmal abgesehen von den Werbespots im Minutentakt.
Zusätzlich zu den Werbeblöcken während der Vorabendserien, wie dieser
Schrott offiziell genannt werden möchte, haben sich die meisten Sender
auf die Konkurrenz abgestimmt. Die Werbung ist ja grundsätzlich lauter
als das normale Programm. Somit justieren sie bitte immer die Lautstärke
von dem gezeigten Programm aus, das einem ja verdächtig leise vorkommt,
hat man sich erst in einer Werbepause zugeschaltet. Es gibt aber auch
immer wieder Sender die Werbung anscheinend “für zwischendurch”
anbieten. (Nicht jetzt zu verwechseln mit diesen wunderbar idiotischen
Shoppingkanälen, bei denen ich nicht selten nur darauf warte, dass ein
Aufseher oder Wärter ins Bild läuft. Zumindest dürften die dort
beschäftigten Moderatoren nicht optimal „eingestellt” sein, wie es im
Fachjargon heißt, wenn jemand nicht die für ihn ausreichende Dosis an
Medikamenten bekommt.)
Nun, unser Freund hat sich natürlich ausgestattet mit einem Frozen TV
Meal, einem wunderbaren Wort der englischen Alltagssprache, das ich vor
Jahren einmal in einer amerikanischen Fernsehsendung (na, sehen sie!)
aufgeschnappt habe. Bei uns würde man das als Fertiggericht,
Tiefkühlgericht oder nennen wir die Scheiße gleich beim Namen, Chefmenü
bezeichnen. Diese Nudeln zum aufgießen und zweimal umrühren sind ja
jetzt auch ganz schön in Mode. Der klassische alleinstehende, aber
ältere Semester, begnügt sich nach wie vor mit Brot und Wurst oder
diversen Kleinstücken an Speisen, die allesamt mit Stolz das Prädikat
Kalte Platte tragen dürfen, oder aber auch eine Gulaschsuppe aus der
Dose, ein Szegedienergulasch aus selbigem Behältniss, beides immer
wieder gern gesehene Gäste auf dem Speiseplan des Altsemestrigen. Die
nicht ganz so Alten, haben da schon andere Ansprüche im Laufe der fetten
Jahre kultiviert und gehen nicht unter einem Putengeschnetzeltem mit
Rahmsoße oder einem Zwiebelrostbraten zum TValtar. Also kurzes Warten,
bis zum Ping halt. Dann is er fertig, weil bitte wer hat schon einen
Dampfgarer zu hause? Und die, die einen besitzen, kennen wahrscheinlich
dann auch das Menü vom Chef nicht. Aber ich muss mich wieder
entschuldigen, weil ich bemerke mit Schmerzen, dass ich so was von
abschweife, dass es schon weh tut.
Wir sitzen also nun mit unserer Hauptfigur, der endlich einmal nicht ein
sogenannter underdeveloped Charakter sein darf, vor dem Fernseher und
schauen uns durch den Vorabenddschungel von geschätzten vierzig
Programmen. Wie es den Anschein hat, sind wir hier in einem relativ
einfachen Durschnittstvkonsumentenhaushalt. Andere kommen ja auf
zweihundert Programme. Die
Beschreibung eines solchen Abends würde aber selbst meine
Vorstellungskraft sprengen und Feldforschungen auf diesem Gebiet möchte
ich, mir zu liebe, nicht durchführen. Die überwiegende Mehrzahl dieser
Comedyserien, wie es ja nun heißt, laufen ja darauf hinaus, dass man
punkt genau vermittelt bekommt, wann denn die Pointe zuschlägt.
Konservengelächter verleitet bzw. hilft uns und geleitet uns sozusagen
zum Höhepunkt. Und ich möchte kurz einmal privat etwas einwerfen. Ich
brauch das schon. Ich hab mich dabei ertappt, dass ich in fast allen
Fällen nicht wusste, dass es jetzt gerade lustig war. Also wenn da
niemand gelacht hätte, ich wär um all die Pointen umgefallen. Nun gut,
vielleicht bin ich ja auch nicht gerade das, was man ein optimales
Zielpublikum nennt. Zu alt vielleicht noch nicht, zu irre
möglicherweise, ein Nischenpublikum. Vielleicht sitzt man in einer
Nische, damit es nicht ungut auffällt. So wie Kammersänger, aber lassen
wir das.
In den Werbepausen hat unser Freund gemächlich durchgeschalten. Herrn
Zappa möchte ich in diesem Zusammenhang nicht schänden, und somit auch
etwas von den obskureren Lokalsendern, mitbekommen. Je nach Jahreszeit
Schneegestöber im Gebirge, inklusive eingeschneiter und von der Umwelt
abgetrennter Dörfer, die einerseits vom Tourismus & vom Schnee eben
leben, andererseits dann soviel aber auch nicht brauchen. Da wäre
Gletscherschifahren auf Grund
von Schneemangel um einiges willkommener; oder aber irgendein
Exhibitionist am Baggersee, dort wo bekanntlich Bodo baggert.
Egal ob er nun Bauer ist, einen sucht oder einfach nur
Postbediensteter aus Mariazell & Umgebung sein möchte. Gesucht wird
immer, gefunden auch, wenn auch manchmal nur bis zum Ende der aktuellen
Staffel, je nach Gagenlage. Aber die meisten sind ja sowieso froh, für
kurze Zeit den Deppen machen zu können, so hebt man sich dann
wieder zurück im vertrauten
Umfeld, etwas ab und hat vielleicht sogar noch mehr als diese kurzen 15
Minuten Ruhm. Die vergehen ja wie im Flug; es ist alles so schnell
gegangen.
Die Zeit vergeht auch wie nix vor dem TV-Gerät. Das Empfinden, dass man
nichts gesehen hat, wird mehr je länger man vorm Kastl sitzt. Klingt
komisch, ist aber so. Und was soll man denn fühlen? So sehr kann man
sich doch auch nicht selbst bescheissen, dass man fünf verschiedene
Sitcoms und anderes Comedygewäsch anschaut, um dann zu glauben, man habe
in Quantenphysik maturiert. Es gibt ja angeblich so etwas wie das
Gewissen, anscheinend gibt es aber auch so was wie einen intuitiven
Qualitätsmesser. Aber leider nicht bei allen, wie es scheint. Und da
meine ich gar nicht diejenigen, die das Programm an sich produzieren.
Na, die sind nicht deppat. Aber ich will mich hier nicht mit
potentiellen Produzenten anlegen. Sei es wie es sei.
Unser Fernseher kommt mittlerweile quer durch aller Länder
Berichterstattung, die ja bis auf einiges Lokalkolorit in etwa das
gleiche vermittelt: die Welt ist vorige Woche untergegangen und die
restlichen Überlebenden müssen mit den letzten Katastrophen ihr
Auskommen finden, ganz zu schweigen von allen anderen tagesaktuellen,
die letzten Jahrtausende sich aber wiederholenden Verbrechen wie
Korruption, Mord und ähnlichem menschlichen Grundverhalten.
Möglicherweise spielen sie aber auch jeden Tag das selbe, oder aber sie
haben so an die zwanzig Beiträge, die sie im Zufallsverfahren immer und
immer wieder senden.
Das Chefmenü ist längst gegessen, die Plastikschale immer noch da und
die begleitenden Biere für diesen Abend haben mittlerweile Einzug
gehalten. Grundsätzlich unterstützen sie den Körper bei seinem Vorhaben
sich etwas Ruhe zu verschaffen und sich der Berieselung mit TV
Kostbarkeiten zu entziehen. Das scheint aber nur bedingt zu
funktionieren. Beim Sekundenschlaf sind wir noch längst nicht angelangt,
eher beim Bleisitz. Das ist der, den man beginnt zu akzeptieren, wenn
man schon zu müde ist um noch z.B. aufs WC zu gehen. Man weiß man muss,
es bedrängt einen ununterbrochen, jeder Gedanke
befasst sich mit
Wasser oder mit dem Abschlagen des selbigen, ist aber keine
Unterstützung bei dem Vorhaben auch solche Ideen durchzuführen. Zum
Bettgehen ist man sowieso zu Müde, das gesteht man sich ja eh ein,
jedoch ist es erst kurz nach acht und man weiß einerseits, dass dies nur
eine erste Phase ist, die ohnehin in Kürze wieder vergangen sein wird,
und andererseits ist es eben erst kurz nach acht und man meint, man habe
noch nichts gesehen. Also geht es schnurstracks ins Hauptabendprogramm.
Ich kann mich ja noch lebhaft an meine Kindheit erinnern. Also nicht nur
daran, dass Mittwochs immer der Kasperl und Dienstags Universum war,
sondern es hat im Fernsehen auch Filme gespielt. Und die sind ja
mittlerweile so etwas wie Raritäten. Und mit Filmen meine ich nicht
obskure Eigenproduktionen von der die Pichler Rosi die sogenannten
Vorlagen verfasst haben soll und die sich die meisten Zuseher ohnehin ja
nur der schönen
Landschaften wegen antun, fast so wie all jene, die den Playboy der
Interviews wegen lesen.
Derzeit spielt es im Hauptabendprogramm hauptsächlich selbstproduzierte
Liebesschnulzen, selbstproduzierten Sozialporno und Universum.
Mittlerweile bin ich intellektuell in einem Alter, in dem ich mir schon
Universum das eine oder andere Mal anschaue, die Pichler
Werbeveranstaltungen bringen mich zum Erschaudern und die Sozialpornos
machen mich aggressiv & traurig. Da kann man dann schon den
Fernsehproviant Marke Gösser bis Stiegl verstehen und damit auch die
Phase des Sekundenschlafs, der, wie der Name schon sagt, von relativ
kurzer Dauer ist. Und hier gibt es zwei Möglichkeiten. Bleiben wir aber
vorerst einmal bei Nummer eins: Unsere Hauptfigur schläft ein, während
sie, sagen wir den Film X sieht. Der Sekundenschlaf weitet sich aus und
nach geraumer Zeit wacht unser Freund vor laufendem Fernseher wieder bei
Film X auf. Sagen wir fünf Minuten nach dem Geschehen, bei dem er sanft
entschlummert war. Vergangen sind aber schon gute fünf Stunden und wir
befinden uns bereits bei der Wiederholung dieses Machwerks der leichten
Fernsehkost um 2:15 am darauffolgenden Tag. Dieser Umstand muss aber
erst einmal entdeckt werden. Bei der nächsten Werbepause, und die sind
zu dieser späten oder eher frühen Stunde nicht mehr so häufig wie im
Hauptabendprogramm, wenn unser Freund wieder durch die nächtlichen
Programme surft und auf dem einen oder anderen Sender wird er mit
strenger Stimmer aufgefordert anzurufen, die Details der optischen
Umsetzung dieser Aufforderung möchte ich hier aussparen.
Das bringt ihn dann wieder auf die richtige Spur und durch den Umstand
des mehrstündigen Nickerchens, mit dem Umweg WC auch ins Schlafzimmer,
denn dazu benötigt man etwas mehr Energie als nur um wach vor der Röhre
zu sitzen. Was bei Möglichkeit zwei der Fall wäre:
Der Fernseher, ausgestattet mit mehreren Bieren schon, nickt immer
wieder ein, wird aber umgehend munter und muss dringend auf die
Toilette; geht aber erst nach einiger Zeit, quasi zu dem Zeitpunkt zu
dem es keine Alternative mehr gibt. Am Rückweg meldet sich das, schon
die letzten zwei Stunden latent Aufmerksamkeit heischende Hungergefühl
und verlangt nach einem Happen. Der wächst sich, mangels realistischer
Abschätzung, zu einem mitternächtlichen Einmanngelage aus, das am
nächsten Tag sowieso wieder bereut werden würde. Nun sind wir aber in
der Phase, in der der neue Tag anbricht, sich aber noch gut in der Nacht
des vergangenen zu verstecken weiß. Seit es zumindest im öffentlich
rechtlichen TV keinen Sendeschluss mehr gibt, der ja vielen Zusehern
auch gleich mitteilte in welchem Land sie sich befanden, was bei
Touristen, oder Geschäftsreisenden, die ja beruflich viel unterwegs sind
auch seine Vorteile bringen mag, ist eine ungefähre Orientierung, wann
denn der Fernsehtag vorbei wäre, nicht mehr aus eigener Kraft so
einfach. Das sogenannte Programm läuft also weiter und, wie es die Natur
meistens nach einem üppigen Mahl vom gerade noch Speisenden verlangt,
fällt dieser in einen etwas unruhigen und nicht all zu tiefen Schlaf.
Der Hauptdarsteller unserer Geschichte wird also immer wieder ein wenig
munter, um sich umgehend dafür zu entscheiden, einfach liegen zu
bleiben. Das TV-Gerät läuft weiter, manche Menschen nennen diesen
Zustand Fernschlafen, strahlt ein wenig, gibt auch Licht ab, so braucht
man kein Nachtlicht und hat auch, nicht zu laut aufgedreht, ein
einschläferndes Mantra. Man sollte in diesem Stadium aber darauf achten,
sich auf einem Sender zu befinden, der nicht
alle paar Minuten, zu dieser Stunden ohnehin aber eine
Seltenheit, Werbeblöcke über den Äther schickt. Wie schon eingangs
erwähnt bedienen sich diese Phasen der Programmverunstaltung einer etwas
höheren Lautstärke; somit könnte das Schlafverhalten unangenehm
beeinflusst werden, bzw. könnte die Ruhephase immer wieder unterbrochen
werden. Das hat bekannterweise Auswirkungen auf das werte Wohlbefinden
am nächsten Tag.
Ein wichtiger Punkt wäre zum Schluss noch zu beachten. All das Strandgut
auf dem kleinen Beistelltisch vor dem ausziehbaren Polstermöbel, das so
aber nie genutzt wird, kann mangels morgendlicher Freizeit erst nach
Rückkehr am späten Nachmittag beseitigt werden. Das senkt einerseits die
Stimmung, andrerseits ist es ein Zeichen von Kontinuität, wenn sie dort
beginnen wo sie am Vortag aufgehört haben.
Er verließ die Toilette mit dem sicheren Gefühl, dass eine der
Mahlzeiten, die er gestern zu sich genommen hatte, zu scharf gewesen
sein musste. Nun würde er die kommenden Stunden mit diesem störenden und
unangenehmen Gefühl verbringen müssen.
Er nahm ein neues Paar Einweghandschuhe aus der Pappschachtel und zog
sie über seine Hände. Dann öffnete er die in Metall eingefasste Glastüre
und betrat den Operationssaal. Von Saal im eigentlichen Sinne konnte
hier keine Rede sein. Das hatte er auch schon oftmals überlegt. Der Raum
hatte eher die Größe eines Wohnzimmers, das zwar geräumig, aber eben
doch noch kein Saal war.
Dreimal die Woche war er hier, jeweils zwölf Stunden. Eine davon galt
als Mittagspause, wurde aber bezahlt. Es war eine dieser
Sozialleistungen, auf die der Vorstand so überaus stolz war. Er hatte
diesen sterilen, keimfreien Raum wieder herzustellen. Zumindest in
groben Zügen. Manchmal spielte er das Leben, das hier erhalten wurde,
gegen das, das er
zu vernichten hatte,
aus. Es war ihm natürlich klar, dass er ein Wegbereiter moderner Medizin
war. Der eigentlich Ausführende von medizinischen Handlungen. Ohne ihn
lief hier gar nichts. So hielt er sich bei Laune. Er war ein Rädchen im
Getriebe, ein kleines, zugegeben, ohne dem sich die größeren und
übergroßen aber nicht drehen konnten.
Er war der Mann fürs Grobe. Die Instrumente hatte er nicht zu reinigen
und zu desinfizieren. Er hatte Böden und Interieur zu säubern.
Blutspuren zu beseitigen. Die Mahnmale verlorenen Lebens, und jene von
erhaltenen Lebens. Es war seine Sicht der Dinge. Seine Wahrheit. Jeder
hatte eine. In der Wahrheit der anderen war
er einer der Untersten.
Einer von denen, die man nie zu Gesicht bekam,
weil sie im Verborgenen agierten. Er begann,
wenn alle anderen weg waren. Er war fertig,
bevor die anderen mit ihrem Teil der Arbeit begannen. Und die, die den
Hauptteil taten, kamen überhaupt erst danach.
Hierarchie hat den Sinn, dass eine nachvollziehbare Struktur für alle da
war. Es gab bei einem solchen System keine Unklarheiten. Möglicherweise
einige Unstimmigkeiten, die aber aus mangelnder Bereitschaft zu
Unterwerfung resultierten. Das mochte ein Phänomen nicht nur hier sein;,
es konnte überall auftreten. Und das tat es auch. In seinem Bereich
wurde es nicht übermäßig wahrgenommen. Er arbeitete größtenteils autonom
und hatte daher keinerlei, oder nur geringe Berührungspunkte mit anderen
seiner Ebene.
Das war ein Vorteil für ihn. Die langen Jahre,
die er hier schon diente,
waren ihm dadurch erträglich gewesen, dass er nicht mit direkten
Vorgesetzten und Kollegen konfrontiert war, die hinter seinem Rücken
über ihn und hinter den Rücken anderer über eben
jene schlecht sprachen oder
gar intrigierten. Das Entgelt für seine Dienste war jährlich in einem
annehmbaren Rahmen erhöht worden. Er hatte ein Auskommen, zwar ein
bescheidenes, aber ihm und seiner Frau schien diese Art von Dasein
gerecht und vor allem ehrlich vorzukommen. Sie beschwerte sich nicht und
er hatte in den seltensten Fällen Gedanken,
die sich um Geld oder Lebensqualität drehten.
Seine Lebensqualität war ausreichend für ihn. Er war eben genügsam. Und
er hing an diesem Job. Er machte ihn gern, er hatte ihn lieb gewonnen
und er nutzte ihn auch.
Er hatte herausgefunden, dass sich einige der Materialien und Utensilien,
mit denen er es tagtäglich zu tun hatte,
und mit denen er zugange war, von beträchtlichem Nutzen für ihn waren.
Es waren Handlungen, die
jeder, der die Gelegenheit
dazu hatte, setzte. Zwei Skalpelle hatte er seiner Frau nach
Hause mitgebracht. Sie
verwendete sie zum Auftrennen von Kleidungsstücken. Sie lagen ihr gut in
der Hand und waren von einer Schärfe,
an die kein herkömmliches Nähutensil herankam.
Die Zeit, die er im Laufe der Jahre hier und in den anderen drei Sälen
verbracht hatte, war von ihm insofern genutzt geworden, da er sich seine
Gedanken machte. Zumindest waren das die Worte, die er benutzte, wenn er
darauf angesprochen wurde, ob ihm seine Tätigkeit nicht zu monoton
erschien.
Von der Wahrheit war er damit weit entfernt. Von seiner Wahrheit jedoch
nicht. Er hatte sich dieses Bild zurecht gelegt und er war
außerordentlich zufrieden damit. So wie all die anderen, die sich mit
seinen Antworten zufrieden stellen ließen.
Es gab keinerlei offene Fragen. Er hatte sich selbst auf Herz und Nieren
geprüft, und war zu dem Schluss gekommen, dass alles so seine
rechtmäßige Ordnung habe.
Später, als er seine
Kleidung aus seinem Spind nahm und sich umzog,
freute er sich schon auf sein Heimkommen. Es würde zwar genauso gleich
verlaufen wie jedes andere in den letzten Jahren,
aber es gab ihm Halt. Veränderung wollte er keine und er würde auch
keine zulassen. Er nahm eine kleine Kunststoffbox,
wie man sie oftmals von Lieferdiensten bekommt, verschloss seinen Spind,
steckte seine Schlüssel ein und ging.
Hinter ihm fiel die Metalltüre des Personaleingangs ins Schloss und er
stand kurz da und machte sich auf den Weg zum Parkplatz,
wo er sein Motorrad abgestellt hatte.
Er bestellte einen kleinen Mokka & einen Otard. Sein Magen hatte zwar
die letzte Woche über mit Regelmäßigkeit rebelliert, doch das war ihm
jetzt egal. Er hörte überhaupt nicht auf Rebellion. Sie war ihm zuwider.
Mit welchem Recht lehnte man sich auf? Mit dem Recht des Schwächeren?
Der Unterdrückte war nicht umsonst der Unterdrückte. Er hatte es
verabsäumt, im richtigen Moment aufzustehen, sich zu erheben, die
Chancen zu nützen, seine Rechte zu wahren. Im Nachhinein konnte man
immer schlauer sein, doch nicht mit ihm.
Er zündete sich seine dritte Zigarette an. Das mit dem Rauchen hatte er
aufgegeben, auch darüber nachzudenken, ob es ihm schadete. Er hatte es
schon so oft sein lassen, sodass er mehr Stress damit gehabt hatte,
nicht zu rauchen, als es einfach zuzulassen. Niemand in seiner Familie
war älter als 57 geworden. Sein Vater war letztes Jahr gestorben, mit
nur 54 Jahren. Seine Mutter, sie hatte niemals geraucht, stand jetzt
kurz vor ihrem 53. Geburtstag, und es sah nicht so aus, als ob sie es
wäre, die den Bann der Familie brechen würde. Sie würde auch
dieses Jahr ihren Geburtstag
wahrscheinlich wieder im Spital verbringen müssen. Sie hatte sich eine
schwere Lungenentzündung zugezogen, nachdem sie 2 Monate mit einem
komplizierten Bruch des Unterschenkels im Bett zugebracht hatte. Nun, es
hatte auch etwas Gutes gehabt. Sie hatte von ihren 74 Kilo ganze 15
abgenommen. Und er hatte etwas mehr Abstand von ihr gewonnen. Die ewigen
Anrufe waren nichts für seinen Geschmack gewesen. Seit dem Tod seines
Vaters hatte sie entweder angerufen, dass er sie abholen und nachhause
bringen sollten, oder dass er sie besuchen solle. Abholen musste er sie,
wenn sie, wie so oft, zuviel getrunken hatte. Auch rief dann meistens
nicht mehr sie an, sondern jemand der auf ihre Rechnung fleißig
mittrank, oder der Kellner eines verstaubten, lang schon nicht mehr
renommierten Cafés, der auch gleich noch die Zeche beglichen haben
wollte.
Geld spielte keine Rolle. Hatte es nie gespielt. Also beglich er die
Zeche. Sein eigenes Konto war immer gefüllt, dank der monatlichen
Zuwendung seiner Mutter. Letztendlich Dank seines Vaters, der es
verstanden hatte, zu Leben, und so nebenbei ein kleines Vermögen
angehäuft hatte. Ein Kleines, wohlgemerkt.
Nun aber saß er an diesem kleinem Tisch. Neben ihm das Fenster, das
spärlich Licht einließ. Andererseits war es an diesem nebligen
Novembervormittag auch nicht wichtig, ob die Glasscheibe durchlässig
genug war. Die Lampen die über den Tischen ihren gelblichen
Nikotinschein zur Verfügung stellten, genügten vollkommen. Er hatte sich
vorgenommen ein wenig darüber zu Grübeln, wie es nun weitergehen sollte,
im Moment jedoch blätterte er in einer Tageszeitung mittleren Niveaus.
Die Ablenkung hatte er jetzt notwendig. Er brauchte ein wenig Abstand,
um einen klaren Gedanken fassen zu können.
Dienstag war es ihm noch gleich gewesen; da hatte er seine Hände voll
Blut gehabt. Seine Hände und sein Hemd war getränkt in Blut und selbst
sein Gesicht war von roten Spritzern bedeckt. Als er am frühen Morgen
dann unter seiner Dusche stand, bemerkte er, dass auch sein Haar
deutlich verklebt war. Das warme Wasser aber löste die Verbindung, die
er mit seinem Opfer eingegangen war. Hellrot verfärbte es sich, um sich
letztendlich am Ausfluss zu sammeln und in einer Spiralbewegung durch
das Haarsieb zu verschwinden. Fast als ob der Regen das Geschehene
ungeschehen machen wollte, wenn er mit seiner ureigenen Kraft von hoch
oben mit Gewalt über die Straßen einher
brach und dann unendlich zärtlich die Schmutzschichten der städtischen
Verschmutzung hinwegspülte, um letztendlich wieder ungesehen im
Untergrund zu verschwinden. Sich seines Schicksals bewusst, diesem
ewigen Kreislauf weiterhin ausgeliefert zu sein.
Die Abdrücke, die er auf seinem weißen Badezimmerboden hinterließ, würde
er später entfernen. Erst einmal stellte er eine Tasse unter den Auslauf
seiner Espressomaschine. Sie war natürlich verchromt und war eine, die
mit diesen kleinen Aluminiumkapseln gefüttert wurde. Sollte doch die
ganze Welt zum Teufel gehen. Er würde es ja sowieso nicht mehr erleben.
Und warum sollte er sie auch noch sammeln. Die Mühe hatte er als
Einzelner, die Konsequenzen bekam er aber von allen zu spüren.
Warum er diesen Typen vor drei Monaten angesprochen hatte, war ihm
entfallen. Oder aber hatte er es geschickt verdrängt, um nicht im
Nachhinein das Warum ergründen zu müssen. Wahrscheinlich war das wieder
ein Grund, um zu Fauner zu gehen, der Einzige, der es wirklich verstand,
ihm zu helfen, zumindest hatte er den Eindruck.
Es musste in der Josefstadt gewesen sein, in diesem Lokal, das er schon
geraume Zeit nicht mehr besucht hatte, sich aber an diesem speziellen
Abend dazu entschlossen hatte, wieder hinzugehen. Im Nachhinein war es
ihm auch ein Rätsel, warum? Nun, in der Vergangenheit hatte es oftmals
das illusterste Publikum versammelt und an diesem Abend war einfach
wieder einmal das Verlangen nach etwas Ausgefallenem größer als seine
Vernunft. Und natürlich wurde er fündig. Nach zwei turbulenten Nächten
beschlossen beide, dass es einfacher wäre, wenn sie bloß eine Wohnung
benutzen würden. Also gab er seinen Schlüssel für alle Fälle ein
weiteres Mal aus der Hand, sprich, er holte ihn aus der ersten Lade des
Garderobenschranks seines Vorzimmers. Was danach geschehen war, hatte er
nur noch verschwommen in Erinnerung. Es musste kurz vor Ende letzter
Woche geschehen sein. Da war es über ihn gekommen. Eigenartigerweise
hatte er es schon erwartet. Er war sozusagen schon überfällig gewesen.
Im Normalfall dauerte es zwischen sechs und acht Wochen bis er den Drang
verspürte, nun hatte es
sich anscheinend verzögert eingestellt. Im Endeffekt war das aber von
geringer Bedeutung. Er hatte seinem Drang nachgegeben und seinen
Beischlafpartner der letzten Monate, so wie schon alle anderen zuvor, im
Schlaf getötet. Weitere Ausführungen über den Hergang der Tat möchte ich
der geneigten Leserschaft ersparen. Das Ausmaß der Verschmutzung der
Wohnung bzw. der Kleidung der Hauptperson sei ein kleiner Hinweis. Es
hatte an die zwei Tage gedauert alle Spuren der Tat zu beseitigen. Das
heißt, alle offensichtlichen & peripheren Spuren. Den Leichnam hatte er,
wie schon so oft, erst innerhalb von 2 Wochen in etwa 22 gleichgroßen
Teilen in den umliegenden Bezirken seiner Wohnadresse verbracht. Man
kann sagen, dass er Übung darin hatte.
Und nun saß er da, vor ihm das leere Glas und die Schale Kaffee.
Der Aschenbecher hatte in der Zwischenzeit zwei weiter Zigarettenstummel
aufnehmen müssen, war danach aber durch einen neuen & sauberen ersetzt
worden. Allmählich verspürte er ein schleichendes Hungergefühl in sich
aufsteigen. Er hatte wie jeden Morgen nicht gefrühstückt. Möglicherweise
war diese Angewohnheit in seiner Kindheit gefestigt worden. Einerseits
waren seine Eltern so gut wie nie da, um ein gemeinsames Frühstück
einzunehmen, andrerseits war er am Morgen so gut wie immer im Stress, um
pünktlich in seine Schule zu kommen oder später dann zu seinen
Vorlesungen; obwohl da waren seine Beginnzeiten eher fließend.
Er würde nun also bezahlen und sich auf den Weg in die Innenstadt
machen. Hier wollte er Nichts essen. Er hatte es zwar ein- oder zweimal
schon getan, gerechtfertigt aber nur durch äußerste Not und später
Stunde. Draußen nieselte es ein wenig. Er stellte seinen Mantelkragen
auf und hielt ihn zusammen. Er würde sich ein Taxi heranwinken, sollte
er eines sehen. Die Fahrbahn hatte einen wagen Schimmer und die
vorbeifahrenden Wagen machten dieses für solch ein Novemberwetter
typisches Geräusch. Er fühlte sich, trotz der feuchten Kälte
wohl. Es war ihm immer schon ein Rätsel gewesen, warum manche seiner
Mitmenschen sich darum schlugen in einem Flugzeug gegen Süden zu fliegen
um dort an überfüllten Hotelbars sich täglich mit All-inclusive
Cocktails zu betrinken. Den Sinn dahinter verstand er nicht. Er war nie
einer dieser Hamster im Laufrad gewesen, die sich nach ihren fünf Wochen
Urlaub sehnten, die dann, genau geplant, fern der üblichen Tretmühle
absolviert wurden. Meist im All-inclusive Club irgendwo, wo das
Bodenpersonal noch überzeugend Demut heucheln konnte und die Blechhütten
der gemeinen Bevölkerung nicht die Urlaubsfotos verschandelten.
Andrerseits war es schon eine Option, die regionalen Nutten einmal zu
testen. Abwechslung in Farbe und Geruch, das Alter spielte dabei keine
Rolle, sie sollten nur nicht zu jung sein. Ab zwölf war schon ok.
Der Wagen blieb stehen und der Fahrer drehte sich zu ihm um. Die 14 Euro
hatten sich ausgezahlt. Er wollte bei diesem Wetter nicht so lange im
Freien unterwegs sein. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren um diese
Zeit zwar noch nicht überfüllt, der eigentümliche Geruch der Fahrgäste,
der bei Regenwetter immer entsteht, war ihm aber zuwider. Das hatte man
immer schon an ihm bewundert. Er wusste was er wollte. Schon damals, als
er noch ein aktiveres Umfeld hatte, war ihm ganz genau bewusst gewesen,
wo diese unsichtbare Grenze verlief, zwischen seinen Idealen und seinen
Abneigungen, dazwischen war so gut wie Nichts. Heute war er noch viel
gefestigter darin. Einerseits lag das bestimmt an den vielen Jahren die
vergangen waren, andrerseits an dem Faktum, dass er schon lange Zeit
alleine lebte und sich so nicht mit anderen arrangieren musste.
Kompromisse waren ihm ja sowieso immer zuwider gewesen. Eine
Verwässerung seiner Grundsätze, nannte er diese. Nun gut, es lag Jahre
zurück, dass er zuletzt solche Zugeständnisse hatte machen müssen .
“Beim Burgtor am Michaelaplatz” ging ihm durch den Kopf. Es war dieses
alte Lied, das er so oft hören musste, weil seine längst verstorbene
Verwandtschaft immer wieder diese Platten mit alten Wienerliedern
hervorholte. Natürlich an Wochenenden, an denen die gesamte, noch
lebende Familie zugegen war, und nicht die Möglichkeit zur Flucht hatte;
weil es regnete oder weil es das eben nicht tat.
Heute nieselte es ein wenig. Der Himmel war vom Morgengrauen an schon
verhangen gewesen und es schien, als würde man durch einen feuchten
Vorhang gehen. Kein Regen, sondern feuchte Verbindungen vom Himmel zur
Erde, oder das, was man daraus gemacht hatte. Er sah sich die
Ansichtskarten, die diese wunderbaren Motive, von denen Touristen
überzeugt waren, dass sie die Sehenswürdigkeiten der Stadt
zeigten, an und schien richtig daran interessiert. Wieso gab es
unzählige Male dasselbe Motiv aus den ähnlichsten Winkeln
abfotografiert? Reichte da nicht eine, sozusagen der Klassiker? Die
Rückseiten waren ja auch ziemlich dieselben, darüber schien sich keiner
fruchtbare Gedanken zu machen. Eine Marktlücke, schmunzelte er in
Gedanken und ging weiter. Die Tageszeit war schon so weit
fortgeschritten, dass der nächste Tag näher als der vergangene war. Nun
ein Mittagsmahl, das ja der eigentliche Grund seiner Standortverlegung
gewesen war. Es gab hier ja einige Lokale von Belang für ihn. Mahlzeiten
zu sich zu nehmen war im Eigentlichen eine Zwangshandlung für ihn. Die
Zeit danach, die er damit verbrachte die anderen Menschen ringsum zu
beobachten und seinen Alkoholspiegel auf
Stand zu bringen, war ihm an dem ganzen Spektakel das Liebste.
Nicht dass er ein zwanghafter Trinker gewesen wäre, dass er seine
tägliche Dosis brauchte, ohne die ihm der Tag sinnlos & leer erschien,
es war eher die Gewohnheit, die Rauch & Alkohol für ihn ausmachten.
Daheim trank er so gut wie nie, oder bleiben wir bei der Wahrheit,
spärlich. Gut, in den letzen Wochen hatte er wieder mehr getrunken. Er
hatte auch mehr geraucht, das bemerkte er immer erst dann, wenn er
wieder weniger rauchte; es schien ihm dann um einiges besser zu gehen.
Seine Speisenwahl war dann dementsprechend bewusster. Der panierte Fisch
war seiner Ansicht nach etwas Gesundes. Mit Kartoffeln, die zu einem
Salat verdammt worden waren, der mit Senf & Mayonnaise seine
Geschmacklosigkeit zu umschiffen versuchte. In diesem Fall war das
sozusagen eine Leichtigkeit. Sein Verlangen nach Sättigungsbeilage war
verschwindend gering und somit aß er nur ein oder zwei Gabelbissen von
dieser kulinarischen Untat. Er hatte zu seiner Mahlzeit einen trockenen
Weißwein bestellt & auch prompt bekommen. Getrunken hatte er vor dem
Essen und jetzt, nachher, trank er schon das dritte Glas. Direkt zur
Mahlzeit trank er nie. Das Vermengen von Speisen und Getränken war ihm
schon immer zuwider gewesen. Leute die ihre vollen Mäuler beim Frühstück
mit Kaffee spülten, oder die Mittags die Schnitzelbrocken mit Hilfe
eines Softdrinks, wie man diesen Dreck ja hochoffiziell nannte,
hinunterwürgten, waren ihm immer verdächtig vorgekommen. Verdächtig
blöde & geschmacklos. Das mit großer Sicherheit, oder an
Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit, wie es auch so schön hieß.
Hatte er aber diese Art Menschen früher verachtet, so bemitleidete er
sie heute. Möglicherweise machte das keinen großen Unterschied für die
Betreffenden, für ihn aber bedeutete es eine Veränderung, hin zur
Verbesserung. Er bedauerte ihre selbst verschuldete Auslieferung an
mindere Genüsse. War es nicht besser einen reifen, duftenden Apfel zu
verspeisen als sich undefinierbar-geruchloses, gleich aussehendes und
gleich unschmeckendes Retortenobst, zuzuführen?
Nun ja, es änderte Nichts daran, dass er zu seinem fünften Glas
Wein überging. Er würde danach zahlen und sich, den Graben querend, auf
den Weg zu einem winzigen Lokal machen, in dem er Weitertrinken wollte.
Das Wetter hatte ein wenig angezogen, es war merklich kälter geworden
und das Nieseln hatte etwas nachgelassen. Die Luft war feucht und
hinterließ auf Haar und Mantel ihre Spuren. So wie seine Absätze auf den
polierten Pflastersteinen.
Er schritt die engen Gassen mit den hohen Häusern entlang, die man ja
gebaut hatte, um sich darin nicht zu verlaufen bzw. um klein zu bleiben.
Jedes Beten schien hier wie ein Fluch.
Er hielt vor dem Fenster seines Ziels und sah, dass bis auf zwei
zahlende Gäste, sich niemand im Inneren aufhielt. Er trat ein und
entledigte sich umgehend seines Mantels. Der war ihm mittlerweile schon
schwer und so hängte er ihn auf den Haken, der hinter dem Tisch an der
Wand hing, an den er sich setzte. Es war nun Bier an der Reihe. Bier mit
regelmäßigen Bittern. Die schienen ihn wieder einmal in eine bestimmte
Stimmung zu bringen. Eine Stimmung, die er immer wieder versuchte
heraufzubeschwören, eine Stimmung, die ihn zufrieden stellte und
gleichzeitig anregte, das aber nicht zu offensichtlich.
Die Tische hier waren immer noch diese Resopalplatten auf einfache
Rundstützen geschraubt, die nur noch in solchen Einrichtungen
anzutreffen waren.
Sechzigerjahre Flair nannte man das wohl heute. An der Bar standen drei
Hocker, fest im Boden verankert, der mit Linoleum ausgelegt war. Das
beste aber schien ihm der Zigarettenautomat im Windfang, der selbst
schon den Platz eines ganzen Tisches wegnahm, der Modernisierung aber
nie hatte weichen müssen. Was hier aber wann modernisiert worden war,
konnte man heute nicht mehr so genau sagen. Waren es die kitschigen
Lampen, die die Wand
verunstalteten, oder war es die Speisekarte, die sich im Laufe der
Jahre, unter der Last der Bilanz, hin zu aktuelleren Wünschen wie Toast
und “Energie”-Drink gewandelt hatte. Es gab diese, für diesen Platz hier
exotischen Gastronomiebeigaben, sie wurden jedoch selten gewünscht.
Gegessen wurde hier vielleicht ein Gulasch, so oft aufgewärmt, dass es
nicht mehr nachvollziehbar war, wann es denn gekocht worden war.
Schnitten für die Damenwelt gab es auch. Ansonsten, was der Zufall
wollte. Um die Osterzeit standen Körbe mit gekochten Eiern auf den
Tischen. Salz kostete extra.
Es schien heute sehr ruhig zu sein. Normalerweise hätte sich in den
ersten zehn Minuten nach seiner Ankunft schon ein Gespräch entwickeln
müssen; heute war es anders. Entweder hing er zu sehr seinen eigenen
Gedanken nach und die anderen merkten das und versuchten gar nicht ihn
anzusprechen, oder aber er reagiert nicht auf die unterschwelligen
Einladungen ein Gespräch zu beginnen. Es war möglicherweise nicht seine
Bestimmung für diesen Tag. Diese wäre eine gänzlich andere, er sollte
das noch bemerken, bevor er am Boden liegend im Regen verbluten würde.
Jetzt aber wandte er sich dem Fenster zu, das einen Blick auf die
spärlich belebte Gasse freigab, holte seine Zigaretten aus der linken
Sakkotasche und steckte sich eine davon in den Mund. Beim Aufflammen
seines Feuerzeugs wurde ihm gewahr, dass es draußen schon dämmerte. Er
sah auf die Uhr und sie zeigte halb fünf nachmittags.